Berlin – 2016 sei insgesamt das Jahr der kuriosen Wal- und Delfinsichtungen in Nord- und Ostsee gewesen, bilanziert Fabian Ritter von der Organisation
Whale and Dolphin Conservation (WDC) in einem
Beitrag für das
Wissenschaftsjahr 2016/17 zum Thema Meere und Ozeane.
Die Szenen faszinierten: Zwei Delfine schwimmen immer wieder neben Segelbooten und Kajaks her, scheinen mit Schwimmern zu spielen. Tausende Menschen sahen die Laien-Videos online. Das Unerwartete daran: Entstanden waren die Aufnahmen in unseren Breiten, vor Flensburg und Kiel. Experten werteten das Vorkommen der Großen Tümmler als Sensation.
Die erste Delfin-Sichtung in der Ostsee nach rund sechs Jahren wurde 2007 gemeldet. Seither tauchten nur vereinzelt Berichte auf, bis «Selfie» und «Delfie» kamen und 2016 vor Kiel und Flensburg Schlagzeilen machten. Die Namen hatten sie zuvor in Schweden bekommen – wiedererkennen konnte man sie an ihren Rückenflossen. Hinzu kamen laut Ritter 2016 auch mehrere Berichte über weitere Delfine, die sich weit entfernt von ihrem üblichen Verbreitungsraum aufhielten.
Zudem kamen in den vergangenen Jahren mehrere Buckelwale in die Ostsee, sagt der Direktor des Meeresmuseums Stralsund, Harald Benke. 2015 staunten selbst Walforscher: über einen Schnabelwal. Das sei ein Hochseewal, der sich sehr selten zeige, sagt der Kurator für Meeressäugetiere im Meeresmuseum, Martin Dähne. «So einen in der flachen Ostsee zu haben, ist schon etwas sehr Besonderes.»
Wo kommen die Tiere auf einmal her? Dafür gibt es eine Reihe von Theorien. «In unseren Augen sind es natürlich Irrgäste», sagt Benke. Wale und Delfine schwömmen vermutlich falsch, weil sie Beute folgen. Die Wahrscheinlichkeit solcher Verirrungen sei gestiegen, da sich bei manchen Tieren – wie bei Großen Tümmlern und Buckelwalen – die Bestände im Atlantik und der Nordsee wieder erholt hätten. Beide hielten sich ohnehin typischerweise eher in Küstennähe auf.
Seit Buckelwale nicht mehr gejagt werden dürfen, hätten sie auch an Scheu verloren, erläutert Benke. Er geht von einem weltweiten Phänomen aus. So sind Buckelwale zum Beispiel seit einigen Jahren wieder vor der Küste New Yorks zu sehen, wo sie einst bejagt wurden. Aber längst nicht bei allen Walarten erholen sich die Bestände – im Gegenteil, wie Benke und Dähne betonen. Für den relativ kleinen Ostseeschweinswal zum Beispiel sei der Beifang eine große Gefahr.
Ein Grund für das veränderte Auftreten könne auch die Konkurrenz um Nahrung sein, sagt Kurator Dähne. Wale konkurrieren untereinander, aber auch die Hochseefischerei verknappt das Angebot. Schon länger spekulieren Experten, ob die Sichtungen nicht auch mit verbesserten Meldesystemen und der Verbreitung beispielsweise von Handykameras einhergehen. Auch das Meeresmuseum macht Bürger zu Helfern der Wissenschaft: Man kann Sichtungen melden.
Das zuletzt stark ausgeprägte Wetterphänomen El Niño könnte ebenso eine mögliche Ursache sein wie der Klimawandel, der die Meere erwärmt, vermutet Biologe Ritter. Damit veränderten sich Meeresströmungen und die Nahrungssituation, so dass Wale und Delfine auf die falsche Fährte gelockt worden sein könnten.
Neben den erfreulichen Sichtungen gibt es auch eine Kehrseite: Zu Jahresbeginn 2016 strandeten immer wieder Pottwale. Insgesamt 30 verendeten in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich. Woran sie starben, ist noch unklar. In den Mägen der Tiere fand sich eine Menge Plastikmüll. Experten nehmen aber an, dass viele Faktoren zusammenkamen. Tot, oftmals aber auch noch lebend, strandeten 2016 zudem sehr viele der heimischen Schweinswale an deutschen Küsten, berichtet Ritter. «Diese Serie scheint auch nicht abzureißen.»
Und manchmal stranden Wale, die nur anhand genetischer Proben bestimmt werden können – weil man sie allein an den äußerlichen Merkmalen nicht erkennt. Selbst die Fachleute sind sicher, noch nicht alles in hiesigen Gewässern gesehen zu haben. «Weltweit gibt es mehr als 80 Wal- und Delfinarten. Davon sind in der Ostsee bisher knapp 30 beobachtet worden», erläutert Dähne. «Da ist noch eine Menge Luft nach oben, was hier vorbeikommen kann.»
Fotocredits: Axel Heimken
(dpa)